Bericht zur Jahrestagung 2021
von Martin Frank und Claudia Hoffmann
Vom 7. bis 9. Oktober fand im Bonhoefferhotel die durch Corona um ein Jahr verschobene Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft in Kooperation mit dem Berliner Missionswerk statt. Thema war „Mission und Nationalsozialismus“. In dreizehn Vorträgen und in einer Podiumsdiskussion mit anwesenden Leitenden von Missionswerken wurden Fragen bearbeitet, wie sich deutsche Missionswerke, Akteure und Theologien im Schatten des Nationalsozialismus verhalten haben, und wie sie sich heute damit auseinandersetzen. Die Deutsche Gesellschaft für Missionswissenschaft wagt damit erste Schritte in eine Anamnese einer verschwiegenen Zeit.
Bischof Stäblein wies in seinem Grußwort zu Beginn der Tagung auf den historischen Ort des Kirchsaals im Bonhoefferhotel hin. Vor 30 Jahren habe man hier am zentralen runden Tisch über die Zukunft der DDR diskutiert. Zum brisanten Thema der Tagung meinte er, dass er naiverweise immer davon ausgegangen sei, dass die deutschen Missionsgesellschaften in der NS-Zeit schon auf der richtigen Seite gestanden seien. Davon ging und geht wohl immer noch ein grosser Teil unserer Bevölkerung aus. Die zahlreichen wissenschaftlichen Vorträge an den beiden Tagen widerlegten dies aber. Die meisten Missionen hatten wohl versucht, sich wegzuducken, auf dass der Sturm der Nationalsozialisten an ihnen vorbeizöge. Die Liebenzeller Mission verstand sich beispielsweise „unter den Missionsgesellschaften in Deutschland [als] ein Veilchen, das im Verborgenen blüht“. Man fürchtete, dass die sog. Missionsfelder durch ausbleibende Devisen ausgetrocknet werden könnten und auch die Heimatarbeit behindert werden würde. Andere Missionsgesellschaften wie die Berliner oder die Bethelmission mischten sich vorauseilend in die bedrängende politische Lage ein und versuchten, ihre Schließung oder die Zensur der Missionszeitschriften zu verhindern, stets erfolglos. Manche Missionen mischten sich auch in die nationalsozialistische Propaganda ein und erklärten, wie Siegfried Knak, Direktor des Berliner Missionswerks, die Rassengesetze für rechtens. Vor dem Ort Neuendettelsau mit seiner regen Missionstätigkeit nach Neuguinea stand schon früh ein Schild, dass „Juden unerwünscht“ seien, die Missionsanwärter marschierten in Uniform auf. Nur wenige Missionen wie die Gossner Mission leisteten aktiv Widerstand, riskierten Gestapohaft und versteckten Juden in der Handjeristrasse in Friedenau.
Erst in den 1990er Jahren hatte Werner Ustorf durch einen bahnbrechenden Aufsatz mit dem Titel „Mission im Nationalsozialismus“ das Thema auf die Tagesordnung der Missionswissenschaft gestellt. Er hatte resümiert: „In allem, was die Missionen taten, stand das Interesse zu überleben an erster Stelle, und das zog unweigerlich Kompromissbereitschaft nach sich, Opportunismus und in einigen Fällen auch direkte Kooperation mit dem Naziregime.“ Dass sich nicht nur Missionswerke sondern auch Missionswissenschaftler in diesen Grauzonen bewegten, in denen manchmal unklar blieb, ob Entscheidungen aus Pragmatismus oder religiöser Überzeugung getroffen wurden, ist ein weiterer Ertrag der Tagung.
In einer Podiumsdiskussion mit fünf der betroffenen Missionswerke wurde offen über Versuche berichtet, die Verhältnisse 1933-45 zwischen den Missionen und der NS-Diktatur zu klären und Wege der Aufarbeitung zu suchen. So hat die Liebenzeller Mission jüngst einen Forschungsauftrag zu ihrer Involvierung in die NS-Zeit vergeben und die Ergebnisse in einem Band publiziert. Einig waren sich die Tagungsteilnehmenden, dass noch vieles ungeklärt sei, es auch Grauzonen gäbe, in denen sich die Missionswerke bewegt hätten. Auch die schnelle Wiederaufnahme der deutschen Missionswerke nach dem Krieg in die internationale ökumenische Bewegung wäre erstaunlich, die Motivlage unklar. Überdeutlich wurde, dass die Missionsgesellschaften in Deutschland in jener dunklen Zeit von ihrer stark konservativen theologischen Tradition her den „starke(n) Staat, das „Volk“ und auch die „Rasse“ als die von Gott gegebene Ordnung menschlichen Zusammenlebens gesehen hatten, gerade auch auf den sog. Missionsfeldern, und daher mehr als anfällig für die nationalsozialistische Ideologie gewesen seien.
Die Tagung hat einen wichtigen Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs rund um Mission, Kolonialismus und Rassismus leisten können. Eine grosse Fülle an Material wurde in der Form eines differenzierten Herantasten präsentiert. Eine weitere, in erster Linie historiographische, Aufarbeitung der Zusammenhänge zwischen Mission und Nationalsozialismus bleibt aber dringend notwendig. Durch die Tagung konnten zwar weisse Flecken auf der Geschichtslandkarte gefüllt werden, wichtige Fragen blieben aber noch offen. Der Umgang mit Schuld, die Frage nach einer angemessenen Erinnerungskultur und die internationalen Dimensionen von Mission und Nationalsozialismus gilt es noch stärker auszuleuchten.